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Wie kauft man sich eigentlich einen Zug? Und vor allem: warum?

Ein Baselbieter besitzt seit 2015 den «Friedenszug». Was ist das für ein Mensch, der Millionen für sein Projekt zusammenklaubte? Wie ging er vor? Und warum tut er sich das an?

Uwe Fiedler im Bistrotwagen seines Zuges.

«Wer Züge liebt, sollte sich keinen kaufen», sagt Uwe Fiedler. Der 62-Jährige muss es wissen: Seit mehreren Jahren besitzt er den «El Achai Friedenszug». Die blaugoldenen Waggons lagern in einem Depot in Sissach. «Ferrophile wie ich sind mit einer Modelleisenbahn eigentlich besser beraten.»

Eigentlich. Erst nachher ist man bekanntlich schlauer. Für alle, die finanzielle Fehler gerne selber machen, gegen die Triebe ihrer Zugliebe machtlos sind oder es einfach nur genau wissen wollen, erklärt Fiedler hier, wie man entgegen jeder Vernunft einen Zugkauf aufgleist.

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Ein Wagen des Friedenszuges wartet im Depot auf den Beginn der Mission.

Das Fahrgeld

Wen die vorangegangene Warnung kalt lässt, dürfte spätestens beim Thema Kosten ins Schwitzen kommen. Wie belastbar eine Geldbörse sein muss, um mehrere Hundert Tonnen schwere Eisenbahnen zu tragen, kommt auch auf den Wagentyp an.

  • Gebrauchte Loks werden für 1,5 Millionen Franken gehandelt.

  • Alte Waggons für den Personentransport kosten um die 600'000 Franken.

  • Steuerwagen aus zweiter Hand kosten rund 1,5 Millionen Franken (Das sind die Wagen an einem Ende des Zuges, die aussehen wie eine Lok, aber nur über ein Cockpit verfügen, ohne Bahnmotor).

Als wahres Schnäppchen erscheinen hingegen alte Dampfloks. Sie kosten meist etwas zwischen 300'000 und 400'000 Franken. Doch Sparfüchse aufgepasst: Bei diesem Loktyp muss jährlich die Belastbarkeit des Dampfkessels geprüft werden, was jeweils um die 50'000 Franken verheizt.

Allgemein entgleisen einem bei den Wartungskosten schnell mal die Gesichtszüge. Auch Waggons müssen pro Jahr für 2'000 Franken technisch geprüft werden. Alle sechs Jahre benötigen sie eine Hauptuntersuchung. Wenn dabei keine Schäden auftauchen, kostet das rund 70'000 Franken – und wenn sie doch auftauchen, dann schnell 120'000 Franken. Die Preise gelten pro Wagen.

Und wohin mit all den knapp 30 Meter langen Wagen? Das Parkhaus für Züge nennt sich Depot. In Fiedlers Fall kostet der Parkschein 10'000 Franken im Monat.

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10'000 Franken im Monat kostet die Abstellhalle für den Friedenszug.

So wie Löwen für die Jagd in der Savanne, wurde der Zug für die Fahrt auf Schienen entworfen. Oder wie es Fiedler sagt: «Nicht zu fahren bedeutet für einen Zug den Untergang.» Lange Standzeiten waren im Plan der Bahnschöpfer nicht vorgesehen.

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Läuft das auch unter Standschäden? Vandalen haben bei Nacht den Zug im Depot besprüht.

Wenn Sie sich gegen Standschäden entscheiden, heisst die Zauberformel: Tonne pro Meter. Sie wird fortan das Geld aus Ihrem Portemonnaie verschwinden lassen. Denn so wird der Preis für die Nutzung des Schienennetzes berechnet. Das Gewicht Ihres Zuges verteilt auf die Schienenmeter, die er beansprucht.

Für Fiedlers Friedenszug mit Dampflok und vier Wagen belaufen sich die Trasseegebühren pro 15 Kilometer Fahrt auf 1000 Franken. Glücklicherweise wird der Preis für die Autobahnvignette mit einem anderen Ansatz berechnet.

Dennoch gilt für Züge, was auch für Autos gilt: keine Versicherung, keine Verkehrsteilnahme. Und da Zugunglücke nur eine Liga unter Naturkatastrophen spielen, muss jeder Wagen auf eine Deckungssumme von 100'000'000 Franken versichert werden.

Damit von der Versicherung möglichst wenig Gebrauch gemacht werden muss, benötigt der Zug eine Besatzung. Die besteht mindestens aus einer Zugführerin (Schaffner) und einer Lokführerin (Chauffeur). Pro Einsatz verlangt eine Zugführerin 180 Franken, ein Lokführer 220 Franken. Soll die Fahrt länger als vier Stunden dauern, braucht es das Bordpersonal in doppelter Ausführung. Länger dürfen im heimischen Bahnbetriebt Züge und Loks nicht ohne Pause geführt werden.

Die schwersten Lasten für das Bankkonto wären somit genannt. Fehlen nur noch die Energiekosten für die Lok. Da die Zugmotoren mit Kohle, Heizöl, Strom, Diesel und Wasserstoff betrieben werden können, ist es schwer, hier Handfestes festzuhalten. Ausser das: Wer abhängig ist von Energiepreisen, ist stets auch Spielball der Weltwirtschaftslage.

Das Ticket

Wer aus öffentlichen Verkehrsmitteln persönliche macht, muss keine Tickets am Automaten mehr kaufen. Wer aber glaubt, Schlangen und Wartezeit so zu umgehen, liegt falsch. Statt von Bahngesellschaften, werden die Tickets für Zugbesitzende vom Bundesamt für Verkehr ausgestellt. Und die Wartezeit wird hier in der landesüblichen Bürokratieminute gemessen.

Auf Fiedlers Wartezeit wirkte sich negativ aus, dass er sich seine Waggons auf dem deutschen Markt besorgte. So musste jeder in die Schweiz eingeführt und vom Bundesamt zugelassen werden. Zu seinem Glück hatte er aber Wagentypen erstanden, die den Schweizer Behörden bereits bekannt waren: «Bei unbekannten Modellen würde ich wohl heute noch warten.» Er empfiehlt grundsätzlich nur Wagen aus dem Intercity-Verkehr, die seien meist aktenkundig.

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Der rote Waggon gehörte vor dessen Auflösung dem deutschen Bahnunternehmen Mitropa.

Auch für die MFK aus dem Individualverkehr gibt es ein Pendant auf Gleisen. Schienenfahrzeuge überprüft eine spezielle Stelle des Bundesamtes für Verkehr. Doch Zugbesitzende besuchen dafür nicht die Beamten, die Beamten besuchen sie – ohne Voranmeldung.

Die permanent drohenden Kontrollbesuche sollen die Sicherheit der Passagiere garantieren. Als Zugbesitzer sieht Fiedler die Rolle der Kontrolleure etwas kritischer: «Die können hier vor jeder Fahrt auftauchen und wegen eines veralteten Aufklebers auf einem Feuerlöscher alles abblasen.»

Der Eisenbahnfachhandel

Wo werden Gebrauchtzüge eigentlich feilgeboten? Das ist einfach: Seit 2019 unterhält die SBB online einen Secondhand-Shop für Waren rund um den Gleisverkehr. Kleine Lokomotiven und Güterwagen sind ebenfalls vertreten, Fahrzeuge für Passagiere jedoch nicht. «So hält die SBB mögliche Konkurrenz klein», sagt Fiedler.

Das Embargo der SBB umgeht man am besten, indem man im Ausland kauft. Auch die Deutsche Bahn hat einen Webshop. Mit der Domain db-gebrauchtzug.de macht sie keinen Hehl aus ihrer unbekümmerten Verkaufspolitik.

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Passagiere des blauen Friedenszuges reisen auf blauen Sitzbezügen alter Intercity-Züge.

Geht es um Eisenbahnen, ist das persönliche Netzwerk mindestens so wichtig, wie das weltweite Netz. Denn der Zugmarkt beschränkt sich nicht auf das Internet. Dampfloks beispielsweise, sind oft von verendenden Vereinen zu haben. Wenn man sich einen Zug kaufen möchte, empfiehlt Fiedler daher, sich mit der Dampflokszene bekannt zu machen, die Kaufabsicht kund zu tun und seine Visitenkarten zu verteilen. Auf der Mitgliederliste des Verbands Historischer Eisenbahnen ist Ihr Jagdrevier abgesteckt.

Ohne Zugspezialisten im Schlepptau sollte laut Fiedler aber keine Kaufentscheidung fallen. Wer im Kaufrausch die Klarsicht einbüsst, ersteht schnell Alteisen, statt einer Eisenbahn.

Die Infrastruktur

Zu Beginn dieses Kapitels gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die Gute zuerst: Verfügen Sie über die richtige Infrastruktur, können Sie eine Menge Geld sparen. Nun die Schlechte: In der Schweiz ist diese Infrastruktur kaum zu haben.

Fiedler hatte Glück. Er ergatterte ein altes Zugdepot der SBB, das er mietet. In und um zwei Hallen lagern Züge – nicht nur die Seinen. Verschiedene Vereine haben ihre Wagen bei ihm abgestellt. Ihm spielt der Platzmangel bei der Zugunterbringung in die Karten, er kann seine Mietkosten teilen.

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Stellplätze wie dieser sind in der Szene der Eisenbähnler heiss begehrt.

Ausserdem befinden sich in einer der Hallen Wartungsgruben unter den Schienen. Fiedler und sein Sohn sind in der Zugszene nicht unbekannt – zertifizierte Zugmechaniker zählen zum Zirkel. Das dämpft den kostspieligen Unterhalt etwas.

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In der Wartungshallte befinden sich Gruben unter den Schienen.

Charakterzüge und andere Voraussetzungen

Machen wir niemandem etwas vor, Einkaufsbummel in Zugdepots gehören nicht zu den Möglichkeiten vieler Menschen. Dass Fiedler sich auf dieses kleine Spiel mit grossen Scheinen einlässt, ist nicht nur einer Schrulle geschuldet. Seine Motivation ist viel mehr transzendent, sie übersteigt ihn.

Fiedlers Geschichte mit Zügen beginnt bei der Hochachtung für Bahnpersonal seines Urgrossvater, einem strengen Mann. Dieser hiess seine Töchter, «Schwarze» zu heiraten (wegen der Kohle waren Lokführer damals schwarz). Die Frauen respektierten den Wunsch ihres Vaters.

Auch die Generation, die aus diesen Liaisons hervorging, stellte sich in den Dienst des öffentlichen Verkehrs, sowie die Nachfolgende. «Mich hat dieser Brauch übersprungen», sagt Fiedler. Sein Sohn jedoch ist wieder Lokführer geworden.

Die Geister seiner Ahnen werden Fiedler die Berufswahl nachsehen, ist es doch auch seinen Einkünften zu verdanken, dass seine Familie nun über einen Zug verfügt. Nach seinem Studium, begann er für den Softwareentwickler SAP zu arbeiten und war an dessen Aufbau in der Schweiz beteiligt. Heute besitzt er mehrere Firmen mit Ausrichtung auf IT und Unternehmensberatung.

Damit wären Motivation und finanzielle Möglichkeit erklärt. Bleibt noch das Ziel. Auch hier treiben Fiedler Kräfte um, die ihn übersteigen. Die Bezeichnung «Friedenszug» lässt es bereits erahnen: Der Zweck des Zuges ist kein geringerer, als Frieden auf Erden zu verbreiten:

Wie geht Freiheit auf Schienen?

Es gibt einen Grund, weshalb die Country-Legende Willie Nelson «on the road again» singt und nicht «on the rail again». Schienen symbolisieren so ziemlich das Gegenteil von der Freiheit, dorthin zu fahren, wo man möchte. Was ja eigentlich ziemlich bescheuert ist: Was sind Strassen, wenn nicht einfach Schienen für Autos? Ohne Strasse keine Autofahrt.

Aber die Strasse ist günstig. Und fast überall zu finden – im Gegensatz zur Schiene. Das bekommt Fiedler zu spüren. Die Route zur Friedensstiftung sollte unter anderem von Jerusalem nach Teheran führen. Israel hat jedoch die Gleise zu seinen Nachbarstaaten gekappt.

Dann ist da noch der Zeitdruck. Um mit einem Zug durch ein Land zu fahren, benötigt dieser eine Genehmigung. Der Friedenszug hat diese Erlaubnis für 18 Länder, darunter Jordanien und den Iran. In anderthalb Jahren laufen die Passierscheine diverser Länder aber ab.

«Entweder ich breche bald auf, oder ich muss von vorne anfangen», sagt Fiedler. Aber wie? Diesen Januar beschädigte der Brand in einem Depot in Schaffhausen die Dampflok des Friedenszuges. Ob die Versicherung sich auch für Feuersbrünste zuständig sieht, ist noch unklar. Die Reparatur würde 2,5 Millionen Franken kosten.

Und auch um die Reise in den Osten zu finanzieren fehlt laut Fiedler eine weitere Million in der Bordkasse. Während der Pandemie konnte der Zug nicht fahren. «Es lief nichts, ausser den Kosten.» Der Friedenszug finanziert sich sonst durch Erlebnisfahrten im Juragebirge.

«Es gibt etwas Grösseres als Kosten», sagt Fiedler und berichtet von einstigen Passagieren, wie sie den Zug fluteten, die Reaktionen der Kinder und wie auch die Erwachsenen alles um sich herum vergassen. «Der Zug bewegt. Und deswegen versuche ich es weiter. Ich weiss, dass wir es schaffen.» sagt Fiedler.

Existiert also eine Freiheit auf Schienen? Ja, wenn man an sie glaubt. Und wer kein geringeres Ziel verfolgt als Weltfrieden, hat vielleicht vieles, aber garantiert kein Glaubensproblem.

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Halbkreise, Schlangenlinien und Blumen: das Symbol des «El Achai Friedenszuges».

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